Das alte Segelschiff liegt in einem Hafen im Süden Sardiniens. Masten ragen in den Himmel, überall wehen Flaggen. Ein warmer Wind streicht über die Yachten, und die Losung der nächsten Tage steigt einem schon in die Nase. Ab hier riecht die Welt nach Salzwasser und werden wir keinen festen Boden mehr unter den Füßen haben.
Eine Gangway führt zum Schiff. Zwei schmale Planken, um an Deck zu gelangen. Danach muss man sich an den Wanten festhalten, an der Rettungsinsel vorbeiklettern und eine Stufe hinab ins Cockpit steigen.
„Willkommen an Bord“, sagt der Skipper. Er steht barfuß an Deck, hat graue Haare und einen Strohhut auf dem Kopf.
Hier ist man erst mal halbwegs sicher, denke ich. Muss sich nirgends festhalten, sich nirgends entlanghangeln. Blick nach oben. Fünfzehn Meter ragen die Masten empor. Fragil anmutende Finger, die hoch zu den Wolken zeigen.
Meine Augen tasten das Boot ab, auf dem ich die nächsten Tage verbringen werde. Meine Unterkunft auf dem Wasser. Über den Winschen liegen dicke Schote, vom Großbaum hängen die Enden der Reffleinen herab. Mittschiffs glänzt das Steuerrad in der Sonne. Davor, auf einem Bronzesockel, ist ein großer Kompass montiert. Die Kompassrose lagert in purem Alkohol, überdacht von einer Kuppel aus geschliffenem Glas. Ein wunderschönes Instrument, denke ich. Es steht für die Entdeckung der Erde, den Beginn des Reisens.
Der Skipper holt mich aus meiner Kontemplation. „Wir haben zwei Niedergänge an Bord“, erklärt er. „Über die Stufen geht es runter in die Kajüte. Aber bitte nicht trampeln. Dies ist nämlich kein Segelschiff, sondern eine alte Dame.“
Segler sind kuriose Menschen. Ich glaube, sie denken wirklich, dass ihre Schiffe eine Seele besitzen. Ihre Kähne, behaupten sie, würden nicht nur knarzen und im Wind pfeifen, sondern tatsächlich so etwas wie ein Gemüt haben. Wenn ihr Gefährt mit sieben Knoten über ein blau frisiertes Meer zieht wie ein Seevogel – dann behaupten sie sogar, ihr Schiff sei „glücklich“.
Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Es könnte sein, dass der eine oder andere Käpt’n ein bisschen zu viel Salzwasser geschluckt hat.
Unten wandert der Blick durchs Schiff. Überall liegen nautische Utensilien herum. Ferngläser, Funkgeräte, Seekarten. In der Kombüse baumelt eine Petroleumlampe, ein Netz mit Zitronen. Alles duftet nach Lack, nach Segeltuch. Ein leises Schwanken geht durchs Schiff. Die Welt neigt sich von links nach rechts, von rechts nach links. Ich vergaß, das ganze Ding schwimmt.
Der Skipper holt mich aus meiner Kontemplation. „Wir haben zwei Niedergänge an Bord“, erklärt er. „Über die Stufen geht es runter in die Kajüte. Aber bitte nicht trampeln. Dies ist nämlich kein Segelschiff, sondern eine alte Dame.“
Segler sind kuriose Menschen. Ich glaube, sie denken wirklich, dass ihre Schiffe eine Seele besitzen. Ihre Kähne, behaupten sie, würden nicht nur knarzen und im Wind pfeifen, sondern tatsächlich so etwas wie ein Gemüt haben. Wenn ihr Gefährt mit sieben Knoten über ein blau frisiertes Meer zieht wie ein Seevogel – dann behaupten sie sogar, ihr Schiff sei „glücklich“.
Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Es könnte sein, dass der eine oder andere Käpt’n ein bisschen zu viel Salzwasser geschluckt hat.
Unten wandert der Blick durchs Schiff. Überall liegen nautische Utensilien herum. Ferngläser, Funkgeräte, Seekarten. In der Kombüse baumelt eine Petroleumlampe, ein Netz mit Zitronen. Alles duftet nach Lack, nach Segeltuch. Ein leises Schwanken geht durchs Schiff. Die Welt neigt sich von links nach rechts, von rechts nach links. Ich vergaß, das ganze Ding schwimmt.
„Eine alte Dame?“, frage ich. „Ja, eine alte Amerikanerin“, sagt der Skipper. Seine Yacht sei dreizehn Meter lang, vier Meter breit, zwölf Tonnen schwer. Gebaut 1979 in Florida. Zwanzig Jahre lang kreuzte der Zweimaster durch die Karibik, segelte danach über den Atlantik bis nach Sardinien, in eines der schönsten Segelreviere des Mittelmeers.
„Das Boot ist eine echte Blauwasserkutsche“, sagt der Skipper. Ihr Name: Solemar – Sonne und Meer. Ob er das Schiff auf diesen Namen getauft habe? „Um Himmels willen, nein!“ Schiffe umzubenennen würde fürchterliches Unglück bringen, murmelt der Skipper. Die alten Yachten würden das überhaupt nicht mögen. Sie könnten traurig sein. Ja, beleidigt gar!
Seemannsgarn? Aberglaube? Oder steckt in der Überhöhung womöglich doch eine tiefere Wahrheit? Man weiß als Novize nicht so recht, was man denken soll. Doch schon jetzt, noch immer im Hafen, wird klar, dass es um existenzielle Fragen geht.
Joseph Conrad, der alte Seefahrer und Weltliterat, schrieb schon vor hundert Jahren: „Die Liebe zu einem Schiff ist grundverschieden von der Liebe, die ein Mann für alle anderen Werke seiner Hände empfindet – der Liebe zum Beispiel, die er für sein Haus hegt.“
Liebe, Inbrunst? Was mag uns das sagen? Dass Segelschiffe uns tatsächlich am Herzen liegen können? Dass eben auch Dinge eine Seele haben – je weiter sie gereist sind? Je mehr wir mit ihnen erleben?
Am nächsten Morgen scheint eine honiggelbe Sonne aufs Mittelmeer herab. Vor den Molen glitzert die See, im Norden die Berge Sardiniens. Der Skipper schaut in den Wind, liest in den Wolken. „Vorderleinen los, Achterleinen los, dann wollen wir mal!“
Wir tuckern hinaus. Eine Fähre kommt entgegen, passiert die Hafeneinfahrt. Eine halbe Seemeile weiter draußen beginnt die offene See. Der Skipper steuert das Schiff in den Wind. Hantiert an irgendwelchen Trommeln, zieht an Leinen, kurbelt wie ein Verrückter. Schon entfalten sich die Segel. Dreieckige Flügel, aufrecht in den Wind gestellt wie die Kuppeln eines Wüstenzelts.
Am nächsten Morgen scheint eine honiggelbe Sonne aufs Mittelmeer herab. Vor den Molen glitzert die See, im Norden die Berge Sardiniens. Der Skipper schaut in den Wind, liest in den Wolken. „Vorderleinen los, Achterleinen los, dann wollen wir mal!“
Wir tuckern hinaus. Eine Fähre kommt entgegen, passiert die Hafeneinfahrt. Eine halbe Seemeile weiter draußen beginnt die offene See. Der Skipper steuert das Schiff in den Wind. Hantiert an irgendwelchen Trommeln, zieht an Leinen, kurbelt wie ein Verrückter. Schon entfalten sich die Segel. Dreieckige Flügel, aufrecht in den Wind gestellt wie die Kuppeln eines Wüstenzelts.
Und nun geschieht das Wunder. Der Skipper dreht das Boot auf neuen Kurs, schaltet den Motor aus. Die Segel füllen sich. Drei mächtige Schwingen, die nach der Brise greifen. Das Boot legt sich auf die Seite und nimmt Fahrt auf. Die alte Amerikanerin tut jetzt, wofür sie erschaffen wurde. Übers Meer reisen. Leicht und nur mit dem Wind. Zwölf Tonnen, getragen vom Wunder des Auftriebs, bewegt vom Zauber des Vortriebs.
Wir segeln.
Der Novize muss sich erst daran gewöhnen. Das Boot giert und rollt, wirft seinen Rumpf in die Wellen. Nichts ist mehr statisch, nichts ruht. Alles fließt, unterwirft sich einem weichen Rhythmus. Genau genommen nickt das Schiff alle fünf Sekunden. Der Bug, der seine Nase hochnimmt und wieder senkt. Der Steven, der mit sechs Knoten durch die See zieht und immerfort die nächste Woge küsst.
Der Novize muss sich erst daran gewöhnen. Das Boot giert und rollt, wirft seinen Rumpf in die Wellen. Nichts ist mehr statisch, nichts ruht. Alles fließt, unterwirft sich einem weichen Rhythmus. Genau genommen nickt das Schiff alle fünf Sekunden. Der Bug, der seine Nase hochnimmt und wieder senkt. Der Steven, der mit sechs Knoten durch die See zieht und immerfort die nächste Woge küsst.
Jetzt spinne ich ja schon selbst – obwohl wir keine Stunde draußen sind! Rede von Rhythmen, von Nasen! Fasele vom Küssen! Nun, ich sage besser nichts mehr.
Der Skipper, den Strohhut ins Gesicht gezogen, schwärmt von unerhörten Buchten, die wir ansteuern könnten. Villasimius im Osten, grün wie ein Pool. Teulada im Süden, blau wie eine Lagune. Sant’Antioco im Westen, schön wie vor tausend Jahren.
„Schneeweiße Strände“, sagt der Skipper. Hier und da von Macchia überzogene Dünen, kleine Fischerhäfen. „Südsardinien im späten September“, spricht er vor sich hin. „Die beste Jahreszeit. Das Meer noch warm, die Ferien vorbei. Nichts mehr los hier unten. Ein Traum. So willst du’s haben.“
Mir allerdings dämmert langsam, dass gar nicht das Land das wahre Ziel dieser Reise ist. Auch keine Bucht, kein Hafen. Diesmal sind es ganz andere Koordinaten, die für ein Ankommen stehen. Das Sein nicht am, sondern auf dem Wasser. Das Meer, der Wind. Das Glück, mit einem Vehikel unterwegs zu sein, das der Mensch schon vor mehreren tausend Jahren ersann, um die Erde zu entdecken.
Nach den ersten Tagen auf See fange ich an, sie richtig zu mögen, diese segelnde Lady. Behutsam tänzelt sie über das Meer, spaziert durch die Wellen. Der Wind strömt durch die Segel, fließt an den mächtigen Flächen vorbei wie ein Geist. Ein leises Pfeifen, ein zarter Gesang. Man muss nur hinhören.
Unten im Schiff ist alles am Quietschen und Knarzen. Das Holz ächzt, die Verbindungen stöhnen, wenn sich die zwölf Tonnen auf die Seite legen und durch die Dünung rauschen. Alles torkelt, taumelt durch die See. „Wir machen gute sechs Knoten“, sagt der Skipper. „Ein schöner Halbwindkurs, sie liebt das.“
Im Norden zieht Sardinien vorbei. Porto Pino, eine weite Bucht vor petrolfarbenem Meer. Wir lassen den Anker fallen, schweben auf der Stelle. Geräuschlos, schwerelos. Die Solemar sagt kein Wort. Schweigsam liegt sie im Wasser, schwoit um ihre Ankerkette. Kleine Wellen kleckern am Rumpf, umspielen den Bug. Unter dem Kiel schwimmen Fische. Silberne Wesen im luziden Blau.
In den nächsten Tagen ziehen wir weiter, südlich der Küste nach Westen. Die alte Amerikanerin sagt nichts. Sie muss das alles kennen. Das Meer, die Fische. Nach Tausenden von Seemeilen. Genügsam fährt sie ihren Kurs. Glücklich? Ich weiß es nicht. Aber es könnte wohl schon sein. Nach so vielen Jahren auf dem Meer, nach so vielen Reisen. Irgendwann beginnen die Dinge vielleicht doch zu leben. Werden zu Begleitern, zu Gefährten.
Die Segel des alten Zweimasters tragen Spuren. Rost, Saharasand. Das Schothorn der Genua ist an einer Stelle eingerissen. Weißes Tuch, das in Fetzen hängt. Es sind die Falten des Boots. Die Signaturen eines bewegten Lebens.
Unten im Schiff ist alles am Quietschen und Knarzen. Das Holz ächzt, die Verbindungen stöhnen, wenn sich die zwölf Tonnen auf die Seite legen und durch die Dünung rauschen. Alles torkelt, taumelt durch die See. „Wir machen gute sechs Knoten“, sagt der Skipper. „Ein schöner Halbwindkurs, sie liebt das.“
Im Norden zieht Sardinien vorbei. Porto Pino, eine weite Bucht vor petrolfarbenem Meer. Wir lassen den Anker fallen, schweben auf der Stelle. Geräuschlos, schwerelos. Die Solemar sagt kein Wort. Schweigsam liegt sie im Wasser, schwoit um ihre Ankerkette. Kleine Wellen kleckern am Rumpf, umspielen den Bug. Unter dem Kiel schwimmen Fische. Silberne Wesen im luziden Blau.
In den nächsten Tagen ziehen wir weiter, südlich der Küste nach Westen. Die alte Amerikanerin sagt nichts. Sie muss das alles kennen. Das Meer, die Fische. Nach Tausenden von Seemeilen. Genügsam fährt sie ihren Kurs. Glücklich? Ich weiß es nicht. Aber es könnte wohl schon sein. Nach so vielen Jahren auf dem Meer, nach so vielen Reisen. Irgendwann beginnen die Dinge vielleicht doch zu leben. Werden zu Begleitern, zu Gefährten.
Die Segel des alten Zweimasters tragen Spuren. Rost, Saharasand. Das Schothorn der Genua ist an einer Stelle eingerissen. Weißes Tuch, das in Fetzen hängt. Es sind die Falten des Boots. Die Signaturen eines bewegten Lebens.
Am nächsten Morgen möchte der Skipper früh aufbrechen. Gegen acht lichten wir den Anker und segeln los. In einem tiefen Bogen flaniert das alte Boot aufs Meer hinaus, sucht den Horizont, bis das Land verschwindet. Die alte Amerikanerin sagt nichts. Macht sich auf ins Blaue, als wolle sie nach Mikronesien segeln, ohne Umschweife um die Welt. Keine Grenzen, keine Schranken.
Der Skipper hat die Selbststeueranlage angeschaltet, den Autopiloten. Das Boot steuert jetzt allein, ist quasi sein eigener Kapitän. Es fliegt übers Meer, nach Westen, ins Offene. Als wolle es immer weiter, über den Atlantik, den Pazifik, sonst wohin. Ein leises Zischen geht durch die Segel. Ein Flüstern, als würde die alte Dame mit sich selbst plaudern.
Und nun fragen Sie mich noch einmal: Ob Segelschiffe eine Seele haben? Ob Dinge leben können?
Schon nach wenigen Tagen auf See muss ich nicht mehr überlegen. Natürlich haben Segelschiffe eine Seele! Sie singen, sie atmen, sie frieren. Sie fliegen, sie heben ab, sie sind glücklich.
Und jetzt weiß ich auch, warum. Denn ohne Geschichten, ohne Leben – nicht sie wären tot, sondern wir.
Am nächsten Morgen möchte der Skipper früh aufbrechen. Gegen acht lichten wir den Anker und segeln los. In einem tiefen Bogen flaniert das alte Boot aufs Meer hinaus, sucht den Horizont, bis das Land verschwindet. Die alte Amerikanerin sagt nichts. Macht sich auf ins Blaue, als wolle sie nach Mikronesien segeln, ohne Umschweife um die Welt. Keine Grenzen, keine Schranken.
Der Skipper hat die Selbststeueranlage angeschaltet, den Autopiloten. Das Boot steuert jetzt allein, ist quasi sein eigener Kapitän. Es fliegt übers Meer, nach Westen, ins Offene. Als wolle es immer weiter, über den Atlantik, den Pazifik, sonst wohin. Ein leises Zischen geht durch die Segel. Ein Flüstern, als würde die alte Dame mit sich selbst plaudern.
Und nun fragen Sie mich noch einmal: Ob Segelschiffe eine Seele haben? Ob Dinge leben können?
Schon nach wenigen Tagen auf See muss ich nicht mehr überlegen. Natürlich haben Segelschiffe eine Seele! Sie singen, sie atmen, sie frieren. Sie fliegen, sie heben ab, sie sind glücklich.
Und jetzt weiß ich auch, warum. Denn ohne Geschichten, ohne Leben – nicht sie wären tot, sondern wir.