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39° 08' 43.0" N 8° 18' 30.5" E

Isola di San Pietro:
Alle Wege führen ans Meer

Südwestlich von Sardinien liegt sie im Meer. Eine Insel vor einer Insel, alt, echt und ein bisschen aus der Zeit gefallen. Manchmal kommen berühmte Leute vorbei, aber das macht nichts. Auf der Isola di San Pietro spielen andere Größen die Hauptrolle: die Marinai, der Thunfisch und der Geschmack der See.
Kleine Gasse mit bunten Häusern

Mit der Fähre von Sardinien kommend, ist die Isola di San Pietro schon zu sehen. Ein flacher Saum, der auf der See schwimmt, in der Mitte eine leichte Erhebung. Von Portoscuso aus dampft das Schiff vier Seemeilen südlich, schaukelt über das vor Sand und Seegras leuchtende Meer. Bald nimmt die Insel vor dem Bug Gestalt an.

Die Hafeneinfahrt mit den beiden Molenfeuern kommt in Sicht, der Anleger an der Corso Battellieri. Dahinter öffnet sich Carloforte. Der einzige Ort, den es auf dieser Insel gibt. Eine Ansammlung bunter Häuser, wie nebenbei ans Ufer aquarelliert. Palmen, Cafés. Pinkfarbene Fassaden, limonengrün gestrichene Mauern.

Mit gurgelndem Schraubenwasser legt die Fähre an. Die Autos rollen auf die Pier, die Passagiere laufen über die Gangway, ein bisschen wie Statisten, die staunend ein altes Theater betreten. Carloforte ist die Bühne, insulanisches Italien, und das Stück, das hier läuft, scheint aus einem vergessenen Jahrhundert.

Blick in Holzwerkstatt

Wäsche weht auf den Balkonen, unten tragen die Kellner die Tagliere an die Tische. In dem kleinen Laden Tutti Pesca Mare blinkt ein Taucher als Reklame, drinnen verkauft Massimo Harpunen, Angelruten und Neoprenanzüge. Um die Ecke liegt die Bar Roma. Gusseiserne Tische, überdacht von drei Jacarandas, unter denen die Alten sitzen und feixen und reden.

Unbeeindruckt von der Zeitgeschichte liegt die kleine Insel unter der Sonne des südlichen Mittelmeers. Rundherum indigofarbenes Wasser. Da ist die Steilküste im Norden, die Bucht von La Caletta im Süden. Da sind die Bars unten im Dorf, wo die Fotos von den Gozzi hängen, den alten Booten mit den Lateinersegeln. In den Regalen stehen die Campari-Flaschen, die Grappas, die Liköre. Hinter den Tresen die Wirte. Sie arbeiten vergnügt und unrasiert. Diese Insel ist ihre Heimat. Eine Insel, von der nichts und niemand sie jemals fortkriegen würde.

Blick in Holzwerkstatt
Dies ist nicht Sardinien, auch nicht Italien. Dies ist eine Insel vor einer Insel. Stolz, unbeugsam. Ein von Opuntien überzogener Felsen der Meeresmenschen und Navigatoren.
Hafen mit Schiff
Kleiderständer vor Geschäft

Doch trotz der maritimen Idylle: Noch ahnt der Besucher nicht, was für ein Fleckchen Erde er in Wahrheit betreten hat. Die Geschichte der Insel San Pietro geht zurück bis zu den tunesischen Korallenfischern von Tabarka. Mitte des 18. Jahrhunderts ließen sie sich auf dem fast unbewohnten San Pietro nieder. Es waren Genueser Seefahrer, die aus dem Ort Pegli kamen und ursprünglich aus Tunesien stammten. Noch heute spricht man hier einen eigenen Dialekt. Das alte Tabarchìn.

Alle wissen um die Geschichte ihrer Insel. Die Sprache, die Tradition der Seefahrt, die Art zu leben. Dies ist eben nicht Sardinien, auch nicht wirklich Italien. Dies ist eine Insel vor einer Insel. Stolz, unbeugsam. Eine Wiege der Seefahrt, ein von Opuntien überzogener Felsen der Meeresmenschen und Navigatoren.

Kleiderständer vor Geschäft

Und dann ist da noch etwas. Vor der Haustür zieht der Tonno rosso durchs Meer. Der große Blauflossen-Thunfisch, der jedes Frühjahr in mächtigen Schwärmen von Nordafrika ins Ligurische Meer wandert und auf seiner Reise genau hier vorbeikommt. Bei der jährlichen Tonnara fangen ihn die Carlofortiner wie vor tausend Jahren. Mit Netzen und schierer Muskelkraft. Das kleine Carloforte ist, so ließe sich sagen, die Thunfischhauptstadt der Welt. Ein Ort des Meeres schlechthin. Ein Ort, an dem die maritimen Traditionen das kollektive Gedächtnis prägen. An guten Tagen schmeckt hier sogar die Luft nach Salzwasser.

Nein, von einer normalen Hafenstadt kann nicht die Rede sein. Diese Insel ist wie ein Schiff. Wer eine Zeit lang hier lebt, wähnt sich auf hoher See. Und bei einem Gang durch die Gassen kommen einem die Fische schon entgegen.

Der Tonno rosso ist auf die Treppen gemalt, er schwimmt an den Wänden, unter den Decken. Geschnitzt aus Holz, geformt aus dem Kork alter Bojen. In den Bars haben sie die Planken gesunkener Fischerboote an die Wände genagelt. In die Pflastersteine, die zur Kirche San Carlo Borromeo führen, sind die Muster von Fischen eingelassen. Und die bunten Kleidchen in den Boutiquen hängen an den Spieren ausgedienter Ruderboote.

Bemalte Treppe durch enge Gassen
Die Insignien der Seefahrt, die Embleme des Fischfangs. Auf der Isola di San Pietro steckt das Meer allen im Blut.
Segelboot im Sonnenuntergang

Die Insignien der Seefahrt, die Embleme des Fischfangs. Auf der Isola di San Pietro sind sie überall. Mit touristischer Dekorationswut aber hat das alles wenig zu tun. Es ist die DNA der Insel.

Mitten im Dorf, eingerahmt von zwei Thunfischrestaurants, steht das blau gestrichene Istituto Tecnico Nautico Carloforte, die renommierte Marineschule der Insel. Hier werden Matrosen ausgebildet, machen angehende Seefahrer ihre nautischen Patente. Kaum eine Familie auf der Insel, aus der kein Offizier, kein Kapitän stammt. Früher segelten die Carlofortiner über alle Ozeane, heute fahren sie auf Frachtern und Kreuzfahrtschiffen über die Weltmeere.

So ist das eben hier draußen auf dem Meer. Man fährt zur See, nach Rotterdam, nach Honolulu. Dann kehrt man irgendwann wieder heim, auf diese Insel. Und verlässt sie nie mehr.

Regal mit Thunfischdosen

Im Norden der Insel, oben bei La Punta, lehnt Antonello Rosso an der Kühlerhaube seines Geländewagens und blickt aufs Meer. Hinter den Felsen, wo die alten Thunfischhallen stehen, liegen die Netze der Fischer aus, davor beginnt die sardische See. Weites, ungebrochenes Wasser bis Tunesien, 240 Seemeilen bis rüber zu den Balearen. Antonello Rosso trägt kurze Hosen, Schlappen, weißes T-Shirt. Seelenruhig dreht er sich eine Zigarette.

„Siehst du die Dünung, die aus dem Westen kommt?“, fragt er. „Siehst du die Wellen, wie sie an den Klippen brechen?“ Rosso kramt nach seinem Feuerzeug. „Soll ich dir was sagen? Ich liebe diese Insel!“

Die Worte könnten aus einem Prospekt stammen. Doch das tun sie nicht. Sie kommen aus tiefstem Herzen, entspringen der Seele eines geborenen Carlofortiners. Die Insel liegt ihm sozusagen im Blut.

So geht es allen, die hier geboren und aufgewachsen sind. Die Marinai unten im Hafen, die Fischer, die Fährschiffer, selbst die Köche auf der Insel sind dem Meer verbunden – nicht nur durch schöne Worte und leckere Meeresfrüchte auf der Speisekarte. Die meisten fischen selbst. Sie segeln, tauchen, schwimmen oder fahren raus zur Isola del Corno zum Speerfischen.

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Koch Antonello Pomata vor Michelin-Auszeichnungen

Der beste Beweis dafür ist Antonello Pomata, der bekannteste Koch der Insel. Früher segelte er selbst, verbrachte jeden zweiten Tag auf dem Wasser. Er steuerte die alten Lateinerboote, nahm an Regatten teil, querte sogar den Atlantik. Zwischendurch allerdings verließ der junge Antonello die Insel und reiste mit Anfang 20 durch die weite Welt der Hotellerie und Gastronomie. New York, London, Mailand, Paris. Er arbeitete als Barmann, Sommelier und Maître d’Hotel, lernte bei dem britischen Starkoch Marco Pierre White. Doch selbstverständlich kehrte er zurück auf seine Insel! Was ist das Leben ohne das bunte Carloforte? La Casa. Die Heimat.

Heute führt Antonello Pomata sein eigenes Restaurant unten am Hafen. Das berühmte Da Nicolo. Vor dem Eingang hängen Michelin-Auszeichnungen, diverse Plaketten und Ehrungen aus der Welt der gehobenen Gastronomie. Im Sommer brummt das Lokal. Italienische Fußballstars kommen hierher, Politiker, Modeleute, Reeder.

Bunt, alt, echt und überall Meer. Die Isola di San Pietro liegt weit weg vom Rest der Welt.

Der beste Beweis dafür ist Antonello Pomata, der bekannteste Koch der Insel. Früher segelte er selbst, verbrachte jeden zweiten Tag auf dem Wasser. Er steuerte die alten Lateinerboote, nahm an Regatten teil, querte sogar den Atlantik. Zwischendurch allerdings verließ der junge Antonello die Insel und reiste mit Anfang 20 durch die weite Welt der Hotellerie und Gastronomie. New York, London, Mailand, Paris. Er arbeitete als Barmann, Sommelier und Maître d’Hotel, lernte bei dem britischen Starkoch Marco Pierre White. Doch selbstverständlich kehrte er zurück auf seine Insel! Was ist das Leben ohne das bunte Carloforte? La Casa. Die Heimat.

Heute führt Antonello Pomata sein eigenes Restaurant unten am Hafen. Das berühmte Da Nicolo. Vor dem Eingang hängen Michelin-Auszeichnungen, diverse Plaketten und Ehrungen aus der Welt der gehobenen Gastronomie. Im Sommer brummt das Lokal. Italienische Fußballstars kommen hierher, Politiker, Modeleute, Reeder.

Koch Antonello Pomata vor Michelin-Auszeichnungen
Bunt, alt, echt und überall Meer. Die Isola di San Pietro liegt weit weg vom Rest der Welt.
Angerichtete Speisen unter Wärmelampe
Serviertablett mit Tunfisch

Ob auch die Geschichte mit Johnny Depp stimmt? „Ja, ja, die stimmt“, sagt Pomata. Und die Geschichte mit Tom Cruise, die stimme auch. Cruise kam einmal mit seiner Jacht mitten im Hochsommer nach San Pietro. Er wollte ins Da Nicolo, aber er hatte nicht reserviert. Das Lokal war voll. An diesem Abend, am nächsten, die ganze Woche. Was sollten sie machen?

Scusi. Geht nicht. Echt nicht.

„Inselkoch schickt Hollywoodstar weg“, posaunte prompt die Presse. Was ein bisschen aufgebauscht war. „Cruise war nett, ein ganz normaler Typ“, sagt Pomata. „Wir haben das Essen dann porta via gemacht, Take-away.“ Cruise und seine Entourage gingen mit Plastiktüten von der Insel.

Serviertablett mit Tunfisch

Antonello Pomata spaziert am Abend noch durch sein Restaurant, parliert mit den Gästen. Darunter sind vor allem ganz normale Besucher. Menschen, die das Meer lieben, gutes Essen und den Thunfisch, der vor der Haustür schwimmt.

Ein warmer Wind streicht durch die Palmen an der Promenade. In der Bar nebenan sitzen die Marinai, die Flaneure des Sommers. Unter den Tischen wackeln die Schlappen, Musik kommt aus den Lautsprechern. Die Kellner aber rauchen schon mal eine. Sie räumen zusammen, stapeln die Stühle und machen langsam Feierabend.

Auch das ist so, auf dieser Insel vor der Insel. Die Isola di San Pietro liegt zum Glück weit genug weg vom Rest der Welt. Ein paar unbezahlbare Seemeilen, ein paar Jahrhunderte mit eigener Geschichte. Es wird darum selten spät auf diesem Felsen in der See. Party sollen ruhig die anderen machen. Morgen früh wartet wieder das Meer.

Nicht die Arbeit, sondern das Leben.

Küstenstraße

Antonello Pomata spaziert am Abend noch durch sein Restaurant, parliert mit den Gästen. Darunter sind vor allem ganz normale Besucher. Menschen, die das Meer lieben, gutes Essen und den Thunfisch, der vor der Haustür schwimmt.

Ein warmer Wind streicht durch die Palmen an der Promenade. In der Bar nebenan sitzen die Marinai, die Flaneure des Sommers. Unter den Tischen wackeln die Schlappen, Musik kommt aus den Lautsprechern. Die Kellner aber rauchen schon mal eine. Sie räumen zusammen, stapeln die Stühle und machen langsam Feierabend.

Auch das ist so, auf dieser Insel vor der Insel. Die Isola di San Pietro liegt zum Glück weit genug weg vom Rest der Welt. Ein paar unbezahlbare Seemeilen, ein paar Jahrhunderte mit eigener Geschichte. Es wird darum selten spät auf diesem Felsen in der See. Party sollen ruhig die anderen machen. Morgen früh wartet wieder das Meer.

Nicht die Arbeit, sondern das Leben.

Küstenstraße
Marc Bielefeld

Marc Bielefeld
Autor

Vom Ballon in die Wüste, aufs Meer, ins Eis: In zwölf packenden Reportagen und Podcasts beschreibt der Autor faszinierende Reisen und trifft auf außergewöhnliche Menschen.
Jens Görlich

Jens Görlich
Fotograf

Große Momente, stilles Glück, bewegende Szenen: Der Fotograf aus Frankfurt ist mit seiner Kamera hautnah dabei und fängt ein, was Worte nicht sagen können.
Lufthansa Aluminium Collection

Lufthansa
Aluminium Collection

Reisebegleiter

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