Mit der Fähre von Sardinien kommend, ist die Isola di San Pietro schon zu sehen. Ein flacher Saum, der auf der See schwimmt, in der Mitte eine leichte Erhebung. Von Portoscuso aus dampft das Schiff vier Seemeilen südlich, schaukelt über das vor Sand und Seegras leuchtende Meer. Bald nimmt die Insel vor dem Bug Gestalt an.
Die Hafeneinfahrt mit den beiden Molenfeuern kommt in Sicht, der Anleger an der Corso Battellieri. Dahinter öffnet sich Carloforte. Der einzige Ort, den es auf dieser Insel gibt. Eine Ansammlung bunter Häuser, wie nebenbei ans Ufer aquarelliert. Palmen, Cafés. Pinkfarbene Fassaden, limonengrün gestrichene Mauern.
Mit gurgelndem Schraubenwasser legt die Fähre an. Die Autos rollen auf die Pier, die Passagiere laufen über die Gangway, ein bisschen wie Statisten, die staunend ein altes Theater betreten. Carloforte ist die Bühne, insulanisches Italien, und das Stück, das hier läuft, scheint aus einem vergessenen Jahrhundert.
Wäsche weht auf den Balkonen, unten tragen die Kellner die Tagliere an die Tische. In dem kleinen Laden Tutti Pesca Mare blinkt ein Taucher als Reklame, drinnen verkauft Massimo Harpunen, Angelruten und Neoprenanzüge. Um die Ecke liegt die Bar Roma. Gusseiserne Tische, überdacht von drei Jacarandas, unter denen die Alten sitzen und feixen und reden.
Unbeeindruckt von der Zeitgeschichte liegt die kleine Insel unter der Sonne des südlichen Mittelmeers. Rundherum indigofarbenes Wasser. Da ist die Steilküste im Norden, die Bucht von La Caletta im Süden. Da sind die Bars unten im Dorf, wo die Fotos von den Gozzi hängen, den alten Booten mit den Lateinersegeln. In den Regalen stehen die Campari-Flaschen, die Grappas, die Liköre. Hinter den Tresen die Wirte. Sie arbeiten vergnügt und unrasiert. Diese Insel ist ihre Heimat. Eine Insel, von der nichts und niemand sie jemals fortkriegen würde.
Doch trotz der maritimen Idylle: Noch ahnt der Besucher nicht, was für ein Fleckchen Erde er in Wahrheit betreten hat. Die Geschichte der Insel San Pietro geht zurück bis zu den tunesischen Korallenfischern von Tabarka. Mitte des 18. Jahrhunderts ließen sie sich auf dem fast unbewohnten San Pietro nieder. Es waren Genueser Seefahrer, die aus dem Ort Pegli kamen und ursprünglich aus Tunesien stammten. Noch heute spricht man hier einen eigenen Dialekt. Das alte Tabarchìn.
Alle wissen um die Geschichte ihrer Insel. Die Sprache, die Tradition der Seefahrt, die Art zu leben. Dies ist eben nicht Sardinien, auch nicht wirklich Italien. Dies ist eine Insel vor einer Insel. Stolz, unbeugsam. Eine Wiege der Seefahrt, ein von Opuntien überzogener Felsen der Meeresmenschen und Navigatoren.
Und dann ist da noch etwas. Vor der Haustür zieht der Tonno rosso durchs Meer. Der große Blauflossen-Thunfisch, der jedes Frühjahr in mächtigen Schwärmen von Nordafrika ins Ligurische Meer wandert und auf seiner Reise genau hier vorbeikommt. Bei der jährlichen Tonnara fangen ihn die Carlofortiner wie vor tausend Jahren. Mit Netzen und schierer Muskelkraft. Das kleine Carloforte ist, so ließe sich sagen, die Thunfischhauptstadt der Welt. Ein Ort des Meeres schlechthin. Ein Ort, an dem die maritimen Traditionen das kollektive Gedächtnis prägen. An guten Tagen schmeckt hier sogar die Luft nach Salzwasser.
Nein, von einer normalen Hafenstadt kann nicht die Rede sein. Diese Insel ist wie ein Schiff. Wer eine Zeit lang hier lebt, wähnt sich auf hoher See. Und bei einem Gang durch die Gassen kommen einem die Fische schon entgegen.
Der Tonno rosso ist auf die Treppen gemalt, er schwimmt an den Wänden, unter den Decken. Geschnitzt aus Holz, geformt aus dem Kork alter Bojen. In den Bars haben sie die Planken gesunkener Fischerboote an die Wände genagelt. In die Pflastersteine, die zur Kirche San Carlo Borromeo führen, sind die Muster von Fischen eingelassen. Und die bunten Kleidchen in den Boutiquen hängen an den Spieren ausgedienter Ruderboote.
Im Norden der Insel, oben bei La Punta, lehnt Antonello Rosso an der Kühlerhaube seines Geländewagens und blickt aufs Meer. Hinter den Felsen, wo die alten Thunfischhallen stehen, liegen die Netze der Fischer aus, davor beginnt die sardische See. Weites, ungebrochenes Wasser bis Tunesien, 240 Seemeilen bis rüber zu den Balearen. Antonello Rosso trägt kurze Hosen, Schlappen, weißes T-Shirt. Seelenruhig dreht er sich eine Zigarette.
„Siehst du die Dünung, die aus dem Westen kommt?“, fragt er. „Siehst du die Wellen, wie sie an den Klippen brechen?“ Rosso kramt nach seinem Feuerzeug. „Soll ich dir was sagen? Ich liebe diese Insel!“
Die Worte könnten aus einem Prospekt stammen. Doch das tun sie nicht. Sie kommen aus tiefstem Herzen, entspringen der Seele eines geborenen Carlofortiners. Die Insel liegt ihm sozusagen im Blut.
So geht es allen, die hier geboren und aufgewachsen sind. Die Marinai unten im Hafen, die Fischer, die Fährschiffer, selbst die Köche auf der Insel sind dem Meer verbunden – nicht nur durch schöne Worte und leckere Meeresfrüchte auf der Speisekarte. Die meisten fischen selbst. Sie segeln, tauchen, schwimmen oder fahren raus zur Isola del Corno zum Speerfischen.
Der beste Beweis dafür ist Antonello Pomata, der bekannteste Koch der Insel. Früher segelte er selbst, verbrachte jeden zweiten Tag auf dem Wasser. Er steuerte die alten Lateinerboote, nahm an Regatten teil, querte sogar den Atlantik. Zwischendurch allerdings verließ der junge Antonello die Insel und reiste mit Anfang 20 durch die weite Welt der Hotellerie und Gastronomie. New York, London, Mailand, Paris. Er arbeitete als Barmann, Sommelier und Maître d’Hotel, lernte bei dem britischen Starkoch Marco Pierre White. Doch selbstverständlich kehrte er zurück auf seine Insel! Was ist das Leben ohne das bunte Carloforte? La Casa. Die Heimat.
Heute führt Antonello Pomata sein eigenes Restaurant unten am Hafen. Das berühmte Da Nicolo. Vor dem Eingang hängen Michelin-Auszeichnungen, diverse Plaketten und Ehrungen aus der Welt der gehobenen Gastronomie. Im Sommer brummt das Lokal. Italienische Fußballstars kommen hierher, Politiker, Modeleute, Reeder.
Der beste Beweis dafür ist Antonello Pomata, der bekannteste Koch der Insel. Früher segelte er selbst, verbrachte jeden zweiten Tag auf dem Wasser. Er steuerte die alten Lateinerboote, nahm an Regatten teil, querte sogar den Atlantik. Zwischendurch allerdings verließ der junge Antonello die Insel und reiste mit Anfang 20 durch die weite Welt der Hotellerie und Gastronomie. New York, London, Mailand, Paris. Er arbeitete als Barmann, Sommelier und Maître d’Hotel, lernte bei dem britischen Starkoch Marco Pierre White. Doch selbstverständlich kehrte er zurück auf seine Insel! Was ist das Leben ohne das bunte Carloforte? La Casa. Die Heimat.
Heute führt Antonello Pomata sein eigenes Restaurant unten am Hafen. Das berühmte Da Nicolo. Vor dem Eingang hängen Michelin-Auszeichnungen, diverse Plaketten und Ehrungen aus der Welt der gehobenen Gastronomie. Im Sommer brummt das Lokal. Italienische Fußballstars kommen hierher, Politiker, Modeleute, Reeder.
Ob auch die Geschichte mit Johnny Depp stimmt? „Ja, ja, die stimmt“, sagt Pomata. Und die Geschichte mit Tom Cruise, die stimme auch. Cruise kam einmal mit seiner Jacht mitten im Hochsommer nach San Pietro. Er wollte ins Da Nicolo, aber er hatte nicht reserviert. Das Lokal war voll. An diesem Abend, am nächsten, die ganze Woche. Was sollten sie machen?
Scusi. Geht nicht. Echt nicht.
„Inselkoch schickt Hollywoodstar weg“, posaunte prompt die Presse. Was ein bisschen aufgebauscht war. „Cruise war nett, ein ganz normaler Typ“, sagt Pomata. „Wir haben das Essen dann porta via gemacht, Take-away.“ Cruise und seine Entourage gingen mit Plastiktüten von der Insel.
Antonello Pomata spaziert am Abend noch durch sein Restaurant, parliert mit den Gästen. Darunter sind vor allem ganz normale Besucher. Menschen, die das Meer lieben, gutes Essen und den Thunfisch, der vor der Haustür schwimmt.
Ein warmer Wind streicht durch die Palmen an der Promenade. In der Bar nebenan sitzen die Marinai, die Flaneure des Sommers. Unter den Tischen wackeln die Schlappen, Musik kommt aus den Lautsprechern. Die Kellner aber rauchen schon mal eine. Sie räumen zusammen, stapeln die Stühle und machen langsam Feierabend.
Auch das ist so, auf dieser Insel vor der Insel. Die Isola di San Pietro liegt zum Glück weit genug weg vom Rest der Welt. Ein paar unbezahlbare Seemeilen, ein paar Jahrhunderte mit eigener Geschichte. Es wird darum selten spät auf diesem Felsen in der See. Party sollen ruhig die anderen machen. Morgen früh wartet wieder das Meer.
Nicht die Arbeit, sondern das Leben.
Antonello Pomata spaziert am Abend noch durch sein Restaurant, parliert mit den Gästen. Darunter sind vor allem ganz normale Besucher. Menschen, die das Meer lieben, gutes Essen und den Thunfisch, der vor der Haustür schwimmt.
Ein warmer Wind streicht durch die Palmen an der Promenade. In der Bar nebenan sitzen die Marinai, die Flaneure des Sommers. Unter den Tischen wackeln die Schlappen, Musik kommt aus den Lautsprechern. Die Kellner aber rauchen schon mal eine. Sie räumen zusammen, stapeln die Stühle und machen langsam Feierabend.
Auch das ist so, auf dieser Insel vor der Insel. Die Isola di San Pietro liegt zum Glück weit genug weg vom Rest der Welt. Ein paar unbezahlbare Seemeilen, ein paar Jahrhunderte mit eigener Geschichte. Es wird darum selten spät auf diesem Felsen in der See. Party sollen ruhig die anderen machen. Morgen früh wartet wieder das Meer.
Nicht die Arbeit, sondern das Leben.